Moritz Rauchhaus: Zwischen Autorschaft und Kompilation – das mittelalterliche Cento als Herausforderung der Stilistik

Vortrag

09/10/2017

12:10Uhr

Moritz Rauchhaus: Zwischen Autorschaft und Kompilation – das mittelalterliche Cento als Herausforderung der Stilistik

Literargymnasium Rämibühl, Rämistrasse 56, 8001 Zürich

XXXV. Romanistentag in Zürich, 08.-11.10.2017, Sektion Nr. 7: “Theorien von Autorschaft und Stil in Bewegung. Stilistik und Stilometrie in der Romania”.

Das mittelalterliche Schreiben in Italien folgt einem kollektiven, kompilatorischen Literaturverständnis. Die Begriffe Plagiat und Fiktionalität bestimmen das literarische Feld im 14. Jahrhundert auf grundlegend unterschiedliche Weise im Vergleich zum heutigen Gebrauch, wofür die Schreibform des Cento als eindrucksvollstes Symptom gelten kann. Exemplarisch für dieses Schreiben ‚in volgare‘ steht der „Aventuroso ciciliano“ (ca. 1333), der die Geschichte von fünf sizilianischen Baronen auf der Flucht vor den palermitanischen Vespri siciliani (1282) in die ganze Welt erzählt und dabei sprachlich fast ausschließlich auf zeitgenössische volgarizzamenti antiker Texte zurückgreift. Zeitgleich mit Boccaccios erstem Romanprojekt, „Il Filocolo“, das noch viel stärker in der mittelalterlichen Schreibkonvention qua gewähltem Sagenstoff verankert ist, legt der „Aventuroso ciciliano“ den Grundstein für jedes weitere Schreiben auf Prosa ‚in volgare‘, das somit aufs Engste mit seinem Antikeverständnis verbunden ist.
Die Beschäftigung mit Bosones da Gubbio Werk ist also gleichzeitig die mit einem literarästhetischen Phänomen des beginnenden 14. Jahrhunderts in Italien. Die Attribuierung des Textes an den Autor ist zwar nicht geklärt, aber lässt konkrete Bestimmungen durch den kompilatorischen Grundcharakter des Werkes ohnehin als schwierig erscheinen. In der Analyse des Cento-Romans verschiebt sich der Diskurs folglich von der Suche nach wiedererkennbaren Eigenarten eines Autors zu intertextuell identifizierbaren Textstellen, deren Anpassung und Kombination dann die vermeintlich belegbare Autorenleistung darstellen.
Diese sind jedoch nicht mit den bekannten stilometrischen Verfahren erfassbar, wenn die Ausgangstexte zuvor nicht als Referenz ermittelt sind. Entsprechend soll gezeigt werden, dass für diese extreme (aus heutiger Sicht) wie grundlegende (für das Mittelalter) Schreibtechnik des Cento ein eigener Ansatz der Stilanalyse gefunden werden muss. Anhand des „Aventuroso ciciliano“, der bisher von der Forschung vernachlässigt wurde, kann exemplarisch evident gemacht werden, dass es zu mittelalterlichen Stilstudien einen um das Wissen von Übersetzungstechniken erweiterten Stilbegriff braucht.

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