Nils C. Ritter: Joseph und seine Dinge – Majestät, Travestie und Identität im Kleinen in Thomas Manns Roman “Joseph und seine Brüder”

Vortrag

18/05/2017

19:30 Uhr

Nils C. Ritter: Joseph und seine Dinge – Majestät, Travestie und Identität im Kleinen in Thomas Manns Roman “Joseph und seine Brüder”

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Thomas-Mann-Gesellschaft Düsseldorf
Haus der Universität

Thomas Manns monumentaler Roman Joseph und seine Brüder ist auch eine Erzählung über Dinge und den ihnen eingeschlossenen narrativen Mustern und Mythologemen. Dinge, vor allem kleine, mobile Objekte können eine eigene Agency, also eine Handlungs- und Wirkmacht haben, die zu Betrug, Manipulation, Gewalt, Furor, aber auch zu Vergewisserung, Vertrauen, Vergebung motiviert: Das Fell Esaus und Jaakobs, die Ketônet passîm Rahels und Josephs, das mesopotamische rituelle Inventar Labans, die Waffen und Werkzeuge Schimeons und Levis, die Schälmesserchen Mut-em-enets oder der silberne Becher Josephs und Mai Sachmes – um nur einige aufzulisten – sie alle werden zu Aktanten im Spiel der Figuren um das Große, um das eigene Ich, um Macht, Überzeugung, Erlösung, Majestät und Identität. Sie helfen, soziale Möglichkeiten, Wahrnehmungen, Botschaften und Beziehungen zu kreieren, zu verstetigen und auch zu zerstören. So lässt sich die immer wieder betonte Schönheit Josephs durch den Erzähler nicht eindeutig geschlechtlich zuweisen und fügt sich nicht in das sonst strikt binär kodierte Weltbild des alttestamentarischen Patriarchats. Dies wird durch die Agency seines bunt schillernden Gewandes getriggert, mit dem Joseph gleich einer Travestie jenseits der Dualität zwischen den Geschlechtern zu oszillieren vermag.

Joseph und seine Brüder ist überdies auch eine Erzählung über das Leben der Dinge und die Verdinglichung des Lebens. Joseph muss klein werden, er muss zunächst zum stummen Diener, zum dinglichen Inventar einer Audienzhalle im „äffischen Ägypterland“ (IV, 97) werden, bevor er zum Ernährer und somit zum Agens wird und seinen verstorbenen Vater Jaakob zur „Schmuck- und Dauerpuppe des Todes“ (V, 1808) macht.

Der Vortrag wird anhand signifikanter Beispiele aufzeigen, dass kleine Dinge mitunter weit über narrative Anschaulichkeit und Symbolhaftigkeit hinausragen und als Mediatoren in den Raum großer Erzählungen eintreten und Handlungen ermöglichen, inskribieren, verstetigen. In Joseph und seine Brüder sind es oftmals kleinste Dinge, die soziale Möglichkeiten, Botschaften und Beziehungen konstituieren, sie sind real, diskursiv und sozial.

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