Als die Gartenlaube ihre Leserinnen entdeckte und in West-Berlin eine Kontaktanzeige zur Keimzelle lesbischer Gruppierungen wurde

Als die Gartenlaube ihre Leserinnen entdeckte und in West-Berlin eine Kontaktanzeige zur Keimzelle lesbischer Gruppierungen wurde

Der zweite Teil unserer dreiteiligen Featureserie nimmt Frauen als Leserinnen in den Blick. Wie schon im ersten Teil scheuen wir dabei nicht, in großen zeitlichen Bögen zu denken und die unterschiedlichsten kleinen Formen miteinander in einen Dialog zu bringen. Dabei fragen wir einerseits diskursiv, welche Rolle Frauen als Leserinnen zugeschrieben wurde, schauen aber vor allem in die Praxis: Welche kleinen Formen haben eine spezifisch weibliche Lektüre ermöglicht und, vice versa, wie hat die Lektüre von Frauen die Genese kleiner Formen beeinflusst?

Gender Und Kleine Form Gartenlaube InstaDen Ausgangspunkt bildet Die Gartenlaube, die wohl populärste deutsche Familienzeitschrift im 19. Jahrhundert, die zwar die Familie als Ganzes in den Blick nahm, jedoch ebenso spezifische kleine Textformen an Frauen adressierte. Entgegen der von Männern entworfenen Programmatik, dass vor allem Kurzes der Leserschaft gefällt, entdecken wir mit Claudia Stockinger, wie insbesondere die Leserinnen ihre eigene serielle Lektüre der Gartenlaube vollziehen und dabei an der Entwicklung neuer kleiner Formen beteiligt sind.

Im zweiten Teil der Folge blicken wir ins Zeitschriftenwesen des 20. Jahrhunderts. Uns interessieren dabei Zeitungen für Lesben in Zeiten, in denen lesbische Liebe stark tabuisiert war: Die Frauenliebe, erschienen von 1926 bis 1930, und Unsere kleine Zeitung, die in den 1970er Jahren verlegt wurde. In aller Kürze wurden in den Kontaktanzeigen beider Zeitschriften Versuche unternommen, die passende Partnerin zu finden – um den Preis der Reduktion der Persönlichkeit auf einige wenige Aspekte, eine Essenz des Weiblichen. Die Kontaktanzeigen waren jedoch in den 1920ern wie in der Nachkriegszeit an der Entstehung eines lesbischen Netzwerkes beteiligt, die kleine Form ermöglichte Kommunikation unter dem Radar.

Als Expertinnen kommen zu Wort: 

Prof. Dr. Claudia Stockinger, Professorin für neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen Das 19. Jahrhundert. Zeitalter des Realismus (2010), Föderalismus in Serie. Die Einheit der ARD-Reihe Tatort im historischen Verlauf (2014) und Zwischen Serie und Werk. Fernseh- und Gesellschaftsgeschichte im Tatort (2014, zusammen mit Christian Hißnauer und Stefan Scherer) sowie das für unser Thema einschlägige Standardwerk über Die Gartenlaube mit dem wunderbar dynamischen Titel An den Ursprüngen populärer Serialität (2018).

Katja Koblitz und Friederike Mehl vom Spinnboden-Archiv in Berlin-Prenzlauer Berg. Katja Koblitz arbeitet seit 2018 im Spinnboden-Archiv und ist dort für Archiv und Finanzen verantwortlich. Friederike Mehl studierte Geschichte, Kulturwissenschaften und Gender Studies an der Freien Universität Berlin. Ihren Beitrag über das feministische Archiv FFBIZ lesen Sie hier.

Allen drei Expertinnen danken wir herzlichst für das Gespräch, ihre Geduld und Offenheit.

Literaturhinweise

Primärliteratur:

Schader, Heike: Die Zeitschrift Frauenliebe, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv (2018), URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/die-zeitschrift-frauenliebe [zuletzt besucht am: 13.03.2020].

Die UKZ-Lesben: Vorab, in: UKZ. Zeitschrift von und für Lesben 1 (1989), 1.

Die UKZ-Redakteurinnen und Sympathisantinnen: Vorab, in: UKZ. Zeitschrift von und für Lesben 2 (1989), 1.

Woolf, Virginia: A Room of One’s Own, London 2000 [1929].

Sekundärliteratur:

Bertschi-Kaufmann, Andrea /Plangger, Natalie: Genderspezifisches Lesen, in: Grundthemen der Literaturwissenschaft. Lesen. Hg. von Alexander Honold und Rolf Parr. Unter Mitarbeit von Thomas Küpper, Berlin/ Boston 2018, 550–570.

Bornemann, Eva/ Trachsel, Helga: Die Gruppe L 74 und die Ukz (Unsere kleine Zeitung), in: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Hg. von Gabriele Dennert, Christiane Leidinger und Franziska Rauchut, Berlin 2007, 77–79.

Gottburgsen, Anja: Zur sprachlichen Inszenierung von Geschlecht – doing gender in Kontaktanzeigen, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik 23 (1995), H. 3, 257–283.

Hoffarth, Florian: Queer Dating. Eine kontrastive Untersuchung von Kontaktanzeigen in Online-Magazinen für Schwule und Lesben, Duisburg 2009.

Lyons, Martyn: Die neuen Leser im 19. Jahrhundert: Frauen, Kinder, Arbeiter, in: Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm. Hg. von Roger Chartier und Guglielmo Cavallo, Frankfurt a.M. u.a. 1999, 455–498.

Stockinger, Claudia: An den Ursprüngen populärer Serialität. Das Familienblatt „Die Gartenlaube“, Göttingen 2018.

Weckel, Ulrike: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum, Tübingen 1998.

 

Credits

Text: Marie Czarnikow und Florenz Gilly

Schnitt: Maximilian Dazert, Leonie Bartel und Florenz Gilly

Redaktion: Lara Helder

Zitate

Rebeca Araya Acosta lieh Virginia Woolf ihre Stimme 

Die Zitate aus Gartenlaube und UKZ lasen

Johannes Spengler, Arne Sander und
Anna Lerch

Musik

„Age of Feminie“, „Evolution”, „Struggle“ und „Marchin“
von Kellee Maize, die ihren Rap unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht

„Feriada“, „Ecstasy of Clay”, „Jenny K“, „Scals Derby“, „Halkodate Line“ sowie „Gin Boheme“ und „Borough” von Blue Dot Sessions, ohne die dieser Podcast nur halb so gut klingen würde

 „O wie praktisch“ und „Unsere Minna“ von Claire Waldoff, einer Ikone der frühen Lesben-Bewegung

Sounds 

BBC Sound Effects

Jingle

Michael Hoeldke (Komposition) und
Cathrin Bonhoff (Stimme)

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