„Kriegstagebücher sind Sammelformen des Kleinen, die den Krieg fassbar machen sollen.“

„Kriegstagebücher sind Sammelformen des Kleinen, die den Krieg fassbar machen sollen.“

In dieser Episode

Unter dem Titel Diaristik im Ersten Weltkrieg. Zwischen Alltagspragmatik und Privathistoriographie ist 2022 die Dissertation von Marie Czarnikow im Verlag Walter de Gruyter erschienen. Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin erarbeitete diese Studie als Kollegiatin des Graduiertenkollegs. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen die mit der Schreib- und Sammelkonjunktur des Ersten Weltkriegs einhergehenden diaristischen Praktiken und Formen. Die Kurzvorstellung des Promotionsprojekts ist hier einsehbar.

Im Interview mit Gesche Beyer spricht Marie Czarnikow über ihre Dissertation und berichtet von überraschenden Archivfunden sowie von der besonderen Produktivität ihrer Fokussierung auf das Kriegstagebuch als kleine Form. Die beiden Forscherinnen diskutieren u. a., warum gerade das ‚kleine‘ Tagebuch zur Form der Stunde erklärt wurde, um den ‚großen‘ Krieg zu dokumentieren. Sie fragen: Welche Kriegsvorstellungen legten die als Schreibvorlagen vertriebenen Tagebuchvordrucke nahe und inwiefern wurden diese durch die konkrete Nutzung ab absurdum geführt? Wie gelangten einzelne Tagebuchblätter von der Front an die Angehörigen sowie in die Öffentlichkeit? Welche Änderungen erfuhren sie im Zuge ihrer Publikation? Wie schlug sich der Tod im Tagebuch nieder und warum schrieb die 14-jährige Milly Haake aus Hamm in ihr Tagebuch, dass es letztlich doch kein Kriegstagebuch sei?

Abschließend diskutieren Gesche Beyer und Marie Czarnikow die Frage nach der Vergleichbarkeit der Kriegsdiaristik mit heutigen Formen der Kriegsdokumentation sowie die Besonderheiten des Reenactments von Tagebüchern in den Kleinformaten von Social Media.

Marie Czarnikow hat ihr Bachelorstudium der Europäischen Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar und an der Université Lumière Lyon 2 absolviert. Ihr Masterstudium der Kulturwissenschaftlichen Medienforschung hat sie an der Bauhaus-Universität Weimar und der Jagiellonen-Universität Krakau abgeschlossen. Von 2016 bis 2017 war sie in Weimar als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juniorprofessur Europäische Medienkultur tätig. Ihr Promotionsprojekt zur Diaristik im Ersten Weltkrieg hat sie von 2017 bis 2020 am Graduiertenkolleg „Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen“ realisiert. In dieser Zeit engagierte sie sich außerdem als Redakteurin des Podcasts microform. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Museum Berlin hat sie das Ausstellungsprojekt „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“ kuratorisch betreut.

Empfohlene Zitierweise:

„Kriegstagebücher sind Sammelformen des Kleinen, die den Krieg fassbar machen sollen.“ Interview mit Marie Czarnikow, in: microform. Der Podcast des Graduiertenkollegs Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen, abrufbar unter: www.kleine-formen.de/interview-mit-marie-czarnikow, Berlin 2024 [Datum des letzten Abrufs].

Interview Gesche Twitter

Bilder:

Alle Bilder sind Marie Czarnikows Dissertationsschrift entnommen, vgl. unten:

Tagebuch von Fritz Wendel, Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart,
N 06 2.2–N 06 2.3 (S. 63, Abb. 12).

Tagebuch von Cornelius Breuninger, Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart,
N 12.3 (S. 80, Abb. 16).

Tagebuch von Cornelius Breuninger, Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart,
N 12.3 (S. 81, Abb. 17).

Yves Congar, Journal de la guerre, 1914–1918, hg. von Stéphane Audoin-
Rouzeau und Dominique Congar, Paris 1997, o. S. (S. 114, Abb. 20).

Tagebuch von Milly Haake, Deutsches Tagebucharchiv Emmendingen,
1256, II, 1–2 (S. 133, Abb. 23).

Tagebuch von Milly Haake, Deutsches Tagebucharchiv Emmendingen, 1256,
II, 1–2 (S. 156, Abb. 29).

 

Literaturhinweise:

Czarnikow, Marie: Diaristik im Ersten Weltkrieg. Zwischen Alltagspragmatik und Privathistoriographie, Berlin/Boston 2022.

Gamper, Michael und Ruth Mayer (Hg.): Kurz & Knapp. Zur Mediengeschichte kleiner Formen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bielefeld 2017.

Reading, Anna: Mobile Witnessing. Ethics and the Camera Phone in the ’War on Terror‘, in: Globalizations 6 (2009), H I, S. 61–76.

 

Credits:

Konzept und Moderation
Gesche Beyer

Schnitt
Johann Gartlinger, Gesche Beyer

Mastering
Johann Gartlinger

Redaktion
Marie van Bömmel, Johann Gartlinger, Marvin Renfordt

Die Zitate lesen
Gesche Beyer, Marie Czarnikow, Chiara Sartor und Morten Schneider

Intro und Stinger
Johann Gartlinger (Komposition)

Musikbetten
Michael Hoeldke (Komposition)

Jingle
Michael Hoeldke (Komposition) und Cathrin Bonhoff (Stimme)

 

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