Patient:innenbrief

Patient:innenbrief

In dieser Episode

Seit wann neigen Menschen, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, zum Briefeschreiben? An wen richten sie ihre Korrespondenz – und mit welchen Absichten? Warum sind so viele dieser Schriftstücke erhalten? Und warum verdient neben dem Billet auch der Patient:innenbrief einen Platz im Kreis der kleinen Formen? Diesen Fragen geht Chiara Sartor in ihrem Beitrag zu einer kleinen Form nach, die bisher vor allem als medizinhistorische Quellengattung Beachtung gefunden hat. Ausgehend von einem Fundstück aus der Feder der Spiritistin Jeanne Tripier (1869-1944), die ab 1934 Patientin in der psychiatrischen Anstalt Maison-Blanche in Neuilly-sur-Marne bei Paris war, unterstreicht sie dabei eine gewisse Affinität dieses Briefgenres zum Spuk.

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Chiara Sartor ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg »Kleine Formen« und promoviert zu Briefen und Aufzeichnungen französischer, schweizerischer und belgischer Psychiatriepatient:innen aus der Kunstsammlung Collection de l’Art Brut. Anhand der anstaltsinternen Schreibszenen, der Akquisepraktiken der Sammler sowie der publizistischen Strategien der Herausgeber spürt sie der Frage nach, wie sich ab 1945 das Faszinosum eines ›rohen‹, ›anti-kulturellen‹ Schreibens (écrire brut) herausbilden konnte.

Der vorgestellte Brief von Jeanne Tripier stammt aus der Museumssammlung Collection de l’Art Brut in Lausanne. Die Wiedergabe des Ausschnitts aus der Inszenierung »Et pourquoi moi je dois parler comme toi ?« von Anouk Grinberg und Kên Higelin erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Cédric Bolusset (Heroine Prod).

Falls Sie Fragen, Anregungen oder Kritik haben, freuen wir uns über Ihre Nachricht – in den sozialen Medien (Twitter, Instagram) oder per Mail.

 

Empfohlene Zitierweise

Chiara Sartor: Patient:innenbrief, in: Enzyklopädie der kleinen Formen, Berlin 2024, aufrufbar unter: www.kleine-formen.de/enzyklopaedie-patientinnenbrief [Datum des letzten Aufrufs].

 

Verwendete Literatur

Primärliteratur

Thévoz, Michel (Hg.): Écrits bruts, Paris, Presses Universitaires de France, 1979, 204–207.

Sekundärliteratur

Beveridge, Allan: Life in the Asylum: Patients’ Letters from Morningside, 1873–1908, History of Psychiatry 9 (36), 1998, 431–469.

Capt, Vincent: Poétique des écrits bruts. De l’aliéné vers l’autre de la langue, Limoges, Lambert-Lucas, 2013.

Dinges, Martin/Barras, Vincent (Hg.): Krankheit in Briefen im deutschen und französischen Sprachraum: 17.-21. Jahrhundert, Stuttgart, Steiner, 2007.

Edelman, Nicole: Lettres de l’au-delà à des somnambules et à des médiums (XIXème siècle), in: Expériences limites de l’épistolaire: lettres d’exil, d’enfermement, de folie. Actes du colloque de Caen 16-18 juin 1991, hg. von André Magnan, Paris, Champion, 1993, 234–245.

Maurer, Lise: Le ›Remémoirer‹ de Jeanne Tripier. Travaux d’asile, Toulouse, Erès, 1999.

Müller, Wolfgang G.: Brief, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, hg. von Gert Ueding, Tübingen, Niemeyer, 1994, 60–76.

Rigoli, Juan: Lire le délire: aliénisme, rhétorique et littérature en France au XIXe siècle, Paris, Fayard, 2001.

Scharfe, Martin: Briefe aus dem Irrenhaus. Selbstzeugnisse von Patientinnen aus der Frühzeit der Marburger Anstalt, in: Heilbar und nützlich. Ziele und Wege der Psychiatrie in Marburg an der Lahn, hg. von Peter Sandner et al., Marburg, Jonas, 2001, 163–183.

Schiegg, Markus: Patientenbrief, in: Handbuch Brief. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Bd. 1, hg. von Marie Isabel Matthews-Schlinzig et al., Berlin/Boston, De Gruyter, 2020, 570–581.

Wilson, Susannah: To whom does a Letter Belong? Psychopathology and Epistolography in the Asylum Letters of Antonin Artaud and Camille Claudel, Modern Languages Open 1/1 (2021), 1–18.

Wübben, Yvonne: Pathos und Pathologie. Ewald Heckers psychiatrische Brieflektüren (1871), in: Pathos. Zur Geschichte einer problematischen Kategorie, hg. von Cornelia Zumbusch, Berlin, De Gruyter, 2010, 140–152.

 

Credits

Text, Produktion und Schnitt
Chiara Sartor 

Mastering
Johann Gartlinger

Moderation
Christian Marchlewitz

Fundstück
Jeanne Tripier, Brief vom 11. September 1936, Collection de l’Art Brut, Lausanne
Gelesen von Anouk Grinberg, mit musikalischer Begleitung von Nicolas Repac

Deutsche Zitate
Gesche Beyer

Soundeffekte
freesound.org
Tracks: »WRITING« von SamuelGremaud, »Paper Fumble (Foley)« von EchoCinematics (beide CC0) und »ancient spirits« von shadoWisp (CC BY 3.0)

Musik
Blue Dot Sessions (sessions.blue)
Tracks: »A Minor Etude« und »Soothe« (CC BY-NC 4.0)

Jingle
Michael Hoeldke 

Station Voice
Cathrin Bonhoff

 

Danksagung

Die Verfasserin des Beitrags dankt Morten Schneider und Florenz Gilly für die hilfreichen Anmerkungen. Besonderer Dank gilt Cédric Bolusset von Heroine Prod für die Abspielgenehmigung der Sequenz aus der Inszenierung »Et pourquoi moi je dois parler comme toi?« von Anouk Grinberg und Kên Higelin; außerdem Martin Meier vom Institut für Musik- und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität für den Zugang zur Einsprechkabine. Vielen herzlichen Dank!

 

 

 

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